Das Lieferketten Dilemma

Welche Mechanismen liegen eigent- lich der Preisbildung zugrunde? Das BWL-Lexikon definiert wie folgt: Das Marktgleichgewicht beschreibt eine Marktsituation, bei der die angebo- tene Menge eines Guts exakt mit der nachgefragten Menge desselben Guts übereinstimmt. Da sich die Preisvor- stellungen von Anbietern und Nach- fragern entgegenstehen, schwingt sich das Marktgleichgewicht am Gleich- gewichtspreis und damit am maximal erreichbaren Umsatze ein … Doch wie genau funktioniert die Wertschöp- fungskette, in der die Werkzeug- und Formenbau-Unternehmen tätig sind?

Abbildung 1 Marktgleichgewicht

Wie „Oeconomix“, eine Initiative zur finanziellen Bildung in Deutschland, beschreibt, befindet sich das Marktgleichgewicht dort, wo sich die Angebots- und Nachfragekurve schneiden. Die angebotene Menge an Gütern wird von den Nachfragern komplett gekauft, der Markt wird „geräumt“.

Verändert sich eine der Größen – wie in jüngster Vergangenheit die Nachfrage – so gerät der Markt zunächst in ein Ungleichgewicht. Es greift der Marktmechanismus und es beginnt sich eine neue Balance zu bilden. Unter Umständen geht mit einem Nachfragerückgang eine gewisse Marktbereinigung einher, bis sich ein Gleichgewicht oberhalb der bisherigen Kostendeckungsgrenze – also an oder oberhalb der Gewinnschwelle – einstellt.

Diese marktwirtschaftlichen Abläufe greifen auch in der Werkzeug- und Formenbau-Branche! Nur die allerwenigsten Unternehmen können sich davon entkoppeln und es ist deshalb wesentlich, sich mit den Details der Wertschöpfungskette und der Theorie von Angebot und Nachfrage etwas genauer auseinanderzusetzen.

Ertragswirtschaftliche Betrachtung der Wertschöpfungskette

Abbildung 2 Definition der Wertschöpfungskaskade

Blick auf die Zulieferer der Branche

Zweifelsohne erfahren die Zulieferer derzeit signifikante Preissteigerung ihrer Vorprodukte als auch deren Logistikkosten. Das Angebotsoligopol der Zulieferer ermöglicht es, ertragswirtschaftliche Auswirkungen in Form von Preissteigerungen in einem gewissen Rahmen relativ einfach weiterzureichen. Ein aus marktwirtschaftlicher Sicht völlig normaler Vorgang, um ein neues Marktgleichgewicht herbeizuführen. Hinzu kommt, dass eine sinkende Absatzmenge zusätzlich zu höheren Preisen führen muss, um die Fixkosten entsprechend weiterzugeben. Die derzeitige Inflation lässt zudem eine weiter steigende Preisentwicklung erwarten.

Man kann angesichts der Marktentwicklung also auch in naher Zukunft noch von steigenden Preisen aus dem Sektor der Werkzeug- und Formenbau-Zulieferer ausgehen.

Blick auf den Werkzeugmacher

Für die Hersteller von Werkzeugen und Formen wirken sich nun die gestiegenen Preise der Vorprodukte unmittelbar aus. Material und Dienstleistungen müssen teurer zugekauft werden. Zudem erfordern sinkender Absatz und niedriger Preise eine höhere Fixkostenumlage je Einheit, um kostendeckende Margen zu erwirtschaften.

Die Weiterreichung der gestiegenen Kosten an die Kunden wäre auch hier zunächst die logische Konsequenz. Gelingt das nicht, geht das zwangsläufig zu Lasten der eigenen Margen. 

Blick auf die OEMs

Die Abkürzung OEM steht für Original Equipment Manufacturer, was so viel bedeutet wie Erstausrüster oder Originalgerätehersteller. Ein OEM entwickelt und stellt Produkte oder Komponenten her und initiiert damit grundlegend den Bedarf für Werkzeuge und Formen.

Steigen die Einstandspreise der Vorprodukte, so würde man auch hier davon ausgehen, dass der OEM wiederum etwaige Preissteigerungen an seine Kunden weitergibt. Hier kommt unmittelbar die Mechanik der Preiselastizität respektive der Kreuzpreiselastizität zu tragen. Ohne hier an dieser Stelle weiter ins Detail gehen zu wollen, würde nach diesem Mechanismus eine Preiserhöhung zu weniger Absatz und Marge für den OEM führen. So einfach ist dieses Dilemma also nicht zu lösen.

Durch einen Nachfragerückgang verschiebt sich die Nachfragekurve nach limks. Dadurch sinkt der Gleichgewichtspreis und die Gleichgewichts- menge. Am Markt wird weniger (Gleichgewichts- menge 2) zu einem höheren Preis (Gleichgewichts- preis 2) abgesetzt. Unter Umständen geht mit einem Nachfragerückgang eine gewisse Markt- bereinigung einher, bis sich ein Gleichgewicht oberhalb der bisherigen Kostendeckungsgrenze – also an oder oberhalb der Gewinnschwelle – ein- stellt.

Erkenntnisse für die Branche des Werkzeug- und Formenbau

Ein kleiner Kreis an Abnehmern generiert den Bedarf für eine große Anzahl an Anbietern. 

Man nennt das ein Nachfrageoligopol. Aufgrund der aktuellen Marktstellung bzw. des Fehlens eines eingeschwungenen Marktgleichgewichts (es besteht mehr Angebot als Nachfrage), muss der OEM Kraft seiner Position keine Preiserhöhung akzeptieren. Das macht es fast unmöglich, Preisgleitklauseln zu vereinbaren und durchzusetzen. 

Es lohnt sich jedoch vor Augen zu führen, wie ein Endprodukt entsteht. Eine konkrete Betrachtung aus der Automobilindustrie, die als größter Nachfrager für den Werkzeug- und Formenbau marktbestimmenden Einfluss hat: Angenommen, dem Werkzeugmacher liegt eine Anfrage für eine Form eines Serienlieferanten vor. Dann benötigt dieser diese Betriebsmittel, um in etwa 6 bis 12 Monaten mit der Serienproduktion zu beginnen und Teile an die Logistikkette zu liefern. Bis dorthin muss er seine Produktionsprozesse entsprechend qualifizieren. Das Auto, das dann auf den Markt eingeführt wird, wurde in den vergangenen 2 bis 3 Jahren entwickelt. Damit einhergehend entstand der Bedarf für dieses Neuteil und in Folge auch der Bedarf für das Betriebsmittel. Vor diesen 2 bis 3 Jahren musste der Vorstand des Automobilherstellers die Auflage dieses Fahrzeugprogramms beschließen. Dafür werden detaillierte Marktkonzepte ausgearbeitet und exakt festgelegt, mit welchen Budgets das Fahrzeug entwickelt und produziert werden soll. 

Die wichtige Erkenntnis an dieser Stelle ist, dass diese Budgets bereits vor Jahren festgelegt wurden – also für welchen Preis ein Serienbauteil eingekauft werden und auch wie hoch der Preis für die erforderlichen Betriebsmittel sein darf. Dass sich Energie- und Transportkosten verändern oder Materialien – zumindest nicht in dem Ausmaß, wie wir es im Augenblick erleben – teurer werden, kann und wurde zu dem damaligen Zeitpunkt der Produktentscheidung nicht berücksichtigt. In Folge erhält das Beschaffungswesen den Auftrag, den Bedarf innerhalb der Budgets beizubringen. Preisfrage: was glauben Sie wird der Einkauf jetzt – konfrontiert mit gestiegenen Preisen – machen? A – Verständnis zeigen und die Budgets überschreiten, weil er die höheren Kosten tragen möchte? Oder B – so lange global suchen, bis er Bezugsquellen findet, die die Produkte „im Budget“ liefern können? Ist der Einkauf nun „böse“, weil er sich auf B stürzt oder macht nur seinen Job? 

Kapitalisierung und Corporate Finance

Wir bewegen uns hier in einem freien Markt, in dem marktwirtschaftliche Prinzipien greifen. Man tut gut daran, sich damit auseinanderzusetzen, um das Geschehen besser zu verstehen. Klar, über fast zwei Jahrzehnte hinweg stand mehr die Technik im Vordergrund und Werkzeugmacher mussten sich um alles andere nicht so viele Gedanken machen wie heute.

Nun müssen wir allerdings davon ausgehen, dass eine Weitergabe der Preise an die Kunden derzeit kaum oder nur in sehr geringen Maßen möglich sein dürfte. Im Gegenteil: Die Überkapazitäten setzen die Preise eher noch weiter unter Druck. Mittelfristig ist auch nicht mit einer merkbaren Veränderung zu rechnen. Solange der Bedarf nicht steigt – was eine 180° Wende der OEM-Produktpolitik entsprechen würde – bleibt nur der Effekt der Marktbereinigung, der hier für Bewegung sorgen könnte. Dieser ist bereits im Gange und Betriebsschließungen, Restrukturierungsvorhaben und Insolvenzen in der Branche haben zugenommen. Das alles ist jedoch ein langwieriger Prozess und es wird Jahre dauern, bis sich hierdurch ein neues Marktgleichgewicht eingestellt haben wird.

Kollateralproblem: Finanzierung der Herstellung

Bisher ging es um die ertragswirtschaftlichen Auswirkungen und die Profitabilität der einzelnen Wertschöpfungsstufen. Will man das Wertschöpfungskettenproblem im Ganzen betrachten, muss man jedoch noch einen weiteren Aspekt berücksichtigen: Betrachtet man die gesamte Wertschöpfungskaskade, so ist ein erheblicher Kapitalbedarf über einen längeren Zeitabschnitt hinweg während der Herstellung der Betriebsmittel zu erkennen. Und der Werkzeug- und Formenbau hat hier einen signifikanten Teil der Finanzierung der Betriebsmittel-Herstellung zu tragen. Das Paradoxon hierbei ist, dass die Finanzierung der Herstellung von Produkten somit von denen gestemmt wird, die wegen des schwachen Ratings – wenn überhaupt – nur an teures Geld kommen können. 

Die Werkzeug- und Formenbau-Branche ist das schwächste Glied im Spiel, sie ist sehr kapitalintensiv und wenig rentabel. Auch, wenn sich die durchschnittlichen Umsatzrenditen zwischen 2 bis 5 Prozent[1], wie in guten Jahren vor der Krise, wieder einstellen würden, bedarf es schon einem gewissen Enthusiasmus, um sich in diesem Betätigungsfeld zu engagieren.

Den Funktionsprinzipien der marktwirtschaftlichen Kräfte des Wettbewerbs nach sind keine „einfachen“ Lösungen für diese Problematik der geringen Ertragskraft zu erwarten. Neue Geschäftsmodelle und Produktinnovationen würden sicherlich helfen, nur gibt es diese eben nicht auf Abruf. Das bedeutet jedoch nicht, dass es nicht Ansatzpunkte geben kann, die den Werkzeugmachern Erleichterung verschaffen könnten und möglicherweise zur Stützung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen.Das Problem der Finanzierung des Nettoumlaufvermögens (Net-Working Capital) ist beispielsweise nicht zu unterschätzen und wenn Eigenkapital fehlt, bleibt letztendlich nur der Weg zur Fremdkapitalfinanzierung. Allerdings bedarf es besserer Lösungen als das gemeine Betriebsmitteldarlehen gegen dingliche Absicherung via Grundschuld! Großprojekte gleich 

welcher Art werden natürlich gänzlich anders finanziert. Weg von der Bonität des Unternehmens, hin zur auf den Projekt-Cashflow abgestellten Projektfinanzierungslösung ist das Motto! 

Davon abgesehen, dass den meisten Unternehmen im Werkzeug- und Formenbau das Fachwissen zu komplexeren Finanzinstrumenten fehlt, sind die Projektvolumina oftmals zu gering, um an diese Tools herankommen zu können. In Kanada gelang es den Branchenvertretern jedoch der Regierung die Systemrelevanz der Branche zu verdeutlichen und es wurden Lösungen erarbeitet, in denen der Staat temporäre Bürgschaften gegen Sicherungsübereignung der Werkzeuge für die Projektfinanzierung übernimmt. So wird den Betrieben der Weg für die Vorfinanzierung der Werkzeugherstellung deutlich vereinfacht. Das muss man nicht als Blaupause für den deutschsprachigen Raum sehen – auch weil unklar ist, ob solch ein Weg auch hier funktionieren würde. Vielmehr gilt es zu erkennen, dass es auch Hebel auf gänzlich neuen Ebenen geben könnte, mit denen sich die Entwicklung der Branche fördern ließe.

Dabei stellt sich auch die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, entlang der Wertschöpfungskette gemeinsame Lösungsansätze zu entwickeln. Denn letztendlich sind alle in der Branche agierenden Marktteilnehmer in irgendeiner Weise von der Existenz eines funktionierenden Markts in diesem Segment abhängig! Auch die Zulieferer des Werkzeug- und Formenbaus haben Vorteile, wenn es dem Markt gut geht. Insbesondere, was die Vorfinanzierung von Material und Dienstleistungen angeht, gäbe es Potenziale zur Unterstützung. Oftmals sind die Zulieferer (Stahl, Normalien, Heißkanäle etc.) besser aufgestellt und eher in der Lage, eine Finanzierung zu übernehmen. Derzeit nutzt man hier jedoch lediglich die begrenzte Möglichkeit einer gewissen Fazilität hinsichtlich der Zahlungsziele. Das ist aber nicht die Lösung des Problems. Vielmehr müsste man sich über Abnahmen, Eigentumsverhältnisse und ggf. über eine auf den Cashflow des Werkzeug- und Formenbau-Kunden abgestellte Form der Finanzierung Gedanken machen. Damit könnte man nicht nur die Finanzierungsproblematik abmildern, sondern auch das Ausfallrisiko für den Zulieferer reduzieren – jeder, der sich tiefer mit insolvenzrechtlichen Besonderheiten auseinandergesetzt hat, kennt die Grenzen noch so gut formulierter Eigentumsvorbehalte. Es gilt also an dieser Stelle gemeinsam in den Diskurs einzusteigen, um nach neuen Wegen zu suchen – nicht um eine Instanz in der Wertschöpfungskette zu bevorteilen, sondern um die Branche im gesamten Kontext zu stabilisieren. 


[1] Marktspiegel Werkzeugbau, Datenerhebung der WMF Branche, unveröffentlicht: über viele Jahre hinweg bewegten sich die Umsatzrenditen im mittel zwischen zwei und fünf Prozent. Die Streuung (Varianz) ist dabei jedoch groß und es gibt sehr wohl Beispiele für Unternehmen, die sich vom allgemeinen Markt entkoppeln konnten und auch Umsatzrenditen im zweistelligen Bereich erwirtschaften konnten.

Zukunftsthema Nachhaltigkeit

Es geht also längst nicht mehr nur um die Optimierung der Produktionsprozesse, sondern um die Themen auf der Metaebene. Ein zweifelsohne an Bedeutung zunehmendes Thema ist hier das Arbeitsfeld „Nachhaltigkeit“. Das ressourcenintensive Streben nach immer mehr Effizienz in der Produktion wird zunehmend vom Leitbild stärker ökologisch denkender Unternehmer überholt. Es gilt nebst den ökonomischen Themen auch Aspekte der Ökologie und dem sozialen Leben zu betrachten. Hiermit werden sich alle Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette zunehmend beschäftigen müssen.

Dabei geht es nicht nur darum, die zukünftige Berücksichtigung von Kundenanfragen mit expliziten Nachhaltigkeitsanforderungen sicherzustellen. Nachhaltigkeit birgt große Chancen, sich im Wettbewerbsumfeld zu differenzieren. Auch dürfte hier Potenzial zu Reduktion der Energiekosten liegen. Möglicherweise könnte Nachhaltigkeit zukünftig aber auch einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Kapitalbeschaffung haben.

Fazit

Der Druck auf die Margen, die Finanzierung des Net-Working Capitals sowie das Thema Nachhaltigkeit stellen die Unternehmen des Werkzeug- und Formenbaus vor enorme Herausforderungen. Betroffen sind in gewisser Weise jedoch alle Marktteilnehmer entlang der Lieferkette, auch wenn der Werkzeug- und Formenbau wohl mit am stärksten belastet wird. Lösen kann dieses Problem keiner der Akteure alleine. Daher bleibt an dieser Stelle nur anzuregen, dass alle Vertreter der einzelnen Wertschöpfungsabschnitte sich gemeinsam den Aufgaben stellen – insbesondere die Zulieferer der Werkzeugmacher können einen aktiven Beitrag zur Transformation leisten. Wesentlich dabei ist, dass man dabei nicht außer Acht lässt, dass der Wandel in sich letztendlich auch viele Chancen für die Branche birgt. Es bleibt daher zu wünschen, dass alle Beteiligten solidarisch an der Verbesserung der Wertschöpfungskette arbeitet.

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