Da moderne Werkzeug- und Formenbau-Unternehmen heute sehr komplex in ihren Abläufen geworden sind, werden die Verantwortlichen bei der Wahrnehmung der Planungs- und Steuerungsaufgabe ihrer Ressourcen in der Regel durch ein computergestütztes Enterprise-Resource-Planning-System (ERP) unterstützt.
Gerade im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit spielen Transparenz und Softwareunterstützung in den Prozessen eine zunehmend bedeutendere Rolle. Die Aufgabenfelder für die Systeme sind dabei sehr weit gespannt und unterstützen große Teile der im Unternehmen vorhandenen Handlungsstränge.
Solch ein ERP-System unterstützt Abläufe im Unternehmen und erleichtert viele Aufgabenstellungen. Gerade, was die komplexe Fertigungsplanung und die Warenwirtschaft der Auftrags- und Einzelfertigung angeht, sind die Herausforderungen ohne Systemunterstützung heute kaum mehr zu meistern. So ist es auch nicht verwunderlich, dass genau hierin die Schwerpunkte der Systemanbieter liegen.
Dem Großteil der Unternehmen in der Branche fehlt es an kaufmännischer Kompetenz und betriebswirtschaftlichem Fachwissen. Ihre Kernkompetenzen sind eben technische Lösungen und Fertigungsqualität, die auch weit über die Landesgrenzen hinaus wertgeschätzt werden. Insofern vertrauen viele Unternehmer, auch was den betriebswirtschaftlichen Teil ihrer Abläufe angeht, auf die Kompetenz, die Funktionalität und die Versprechen der ERP-Lösungsanbieter.
Welche Defizite dann doch hinsichtlich der betriebswirtschaftlichen und handelsrechtlichen Umsetzung bei vielen ERP-Systemen bestehen kommt leider meist erst dann auf, wenn größenbedingt ein Wirtschaftsprüfer einbezogen werden muss oder andere Sachverhalte einen genaueren Blick auf die Details erfordern.
Es ist erschreckend, wie oft ich persönlich in Projekten feststellen muss, wie schlecht und falsch die kaufmännischen Aspekte in den Systemen umgesetzt sind! Es erweckt den Eindruck, als dass Techniker und Entwickler mit Halbwissen versuchen, betriebswirtschaftliche Aufgabenstellungen in Software zu implementieren? Das Ergebnis: kaum ein ERP-System ist im Stande den Kosten- und Leistungsrechnungsprozess fachlich korrekt abzubilden.
Diese Situation müsste aber meiner Meinung gar nicht so sein. Denn all diese Sachverhalte sind – wenn auch in einem anderem Lehrgebiet angesiedelt – bekannt und müssten nur verstanden und umgesetzt werden. Insofern ist das hier im Folgendem ein Appell an sowohl die ERP-System-Anbieter als auch an die Verantwortlichen der Branche, hier in einen Dialog einzusteigen und Branchenstandards zu schaffen!
Einerseits liegt es mir fern, Kritik an den ERP-Systemen zu üben – das steht mir sicher auch nicht zu – und ich erkenne ja an, dass diese Systeme unabdingbar sind. Auf der anderen Seite verstehe ich mich, was die Betriebswirtschaftslehre betrifft, in gewisser Weise als „Anwalt“ der Werkzeug- und Formenbauunternehmer und das Ausmaß an Fehlern, denen ich hier begegnen überschreitet mittlerweile gewisse Grenzen. Das Problem: mangels eigener kaufmännischer Kompetenz vertrauen die Betriebe in der Regel darauf, dass das, was ihr ERP-System da abbildet und errechnet auch richtig ist und wissen oftmals gar nicht, in welch misslicher Lage sie sich eigentlich befinden.
Es ist erschreckend, wie viel hier falsch läuft und die ERP-Systemanbieter scheint das kaum zu interessieren! Am meisten ärgert mich dann die – so gut wie immer kommende (dumme) Aussage: „unsere anderen Kunden nutzen das auch so und haben damit kein Problem“…
Die „anderen“ Kunden haben eine Software gekauft, von denen sie ausgehen, dass das auch stimmt, was da ausgegeben wird. Nur wissen die wenigsten, welchem Irrtum sie hier auf Erliegen!
Was macht ein ERP-System und wo sind dabei die Schnittstellen zu den betriebswirtschaftlichen Sachverhalten?
Ein ERP-System dient der funktionsbereichsübergreifenden Unterstützung sämtlicher in einem Unternehmen ablaufenden Geschäftsprozesse. Entsprechend enthält es Module für die Bereiche Beschaffung/Materialwirtschaft, Produktion, Vertrieb, Forschung und Entwicklung, Anlagenwirtschaft, Personalwesen, Finanz- und Rechnungswesen, Controlling usw., die über eine gemeinsame Datenbasis miteinander verbunden sind. Durch die unternehmensweite Konsolidierung der Daten ist eine Unterstützung der Planung über sämtliche Unternehmensebenen hinweg möglich.
Die von mir angesprochenen Probleme liegen im Bereich des Rechnungswesens im Kontext der ERP-Systeme. Dabei gilt es zunächst zu klären, dass wir hier zwischen dem externen und dem internen Rechnungswesen differenzieren müssen.

Das Rechnungswesen ist ein Teilgebiet der Betriebswirtschaftslehre und dient der systematischen Erfassung, Überwachung und informatorischen Verdichtung der Geld- und Leistungsströme.
Internes Rechnungswesen
Das interne Rechnungswesen liefert dabei Informationen zur Unterstützung unternehmerischer Entscheidungen. Es ist weder vorgeschrieben noch gesetzlich reguliert und richtet sich im Normalfall an unternehmensinterne Adressaten. Seine Teilgebiete sind die Kosten- und Leistungsrechnung, die Investitionsrechnung und die interne Erfolgsrechnung. [www.bwl-lexikon.de]
Hier befassen wir uns im unternehmerischen Kontext mit dem Kosten- und Leistungsrechnen und insbesondere mit der Kostenträgerstückrechnung (Kalkulation).
Ich habe einerseits Verständnis dafür, dass die Systemanbieter hier mit sehr vielen Kundenwünschen bezüglich der Kalkulationsstruktur konfrontiert werden. Leider ergeben sich daraus auch eine Menge unsinniger Schemen, die mit der Betriebswirtschaftslehre nur sehr wenig zu tun haben.
Die Gewinnermittlung im Unternehmen ist im HGB verankert und daraus ergibt sich eine gewisse Grundstruktur, mit der das Kalkulationsschema korrelieren sollte. Wer in der Automobilindustrie schon mal Kalkulationen offenlegen musste oder bereits Bekanntschaft mit den Herrschaften des Cost-Engineerings gemacht hat, der weiß, dass das Standard-Kalkulationsschema der Branche die erweiterte, mehrstufige Zuschlagskalkulation ist. Den meisten Betrieben hier wird die Gewinnermittlung gemäß dem Gesamtkostenverfahren (vgl. Umsatzkostenverfahren) gemein sein und es ergibt sich folgendes Kalkulationsschema:

Dieses Schema trennt stringent Einzelkosten von Gemeinkosten. Übrigens auch im Bereich der Fertigungskosten werden unterschiedliche Gemeinkosten für, Maschinen (Fertigungsgemeinkosten) und Menschen (Restfertigungsgemeinkosten) basierende, Fertigungsschritte berücksichtigt. Auch gilt es anzumerken, dass es Sondereinzelkosten gibt, welche gänzlich ohne Gemeinkostenzuschlag anzusetzen sind.
Für ein ERP-Systeme wäre es vorteilhaft, wenn man sich grundsätzlich mal auf diesen Standard verständigen könnte. Ob dann ein jeder jede Position im Schema nutzt, sei dann mal dahingestellt und jedem selbst überlassen. Jedoch wäre zumindest mal die Grundlage geschaffen, was derzeit leider häufig zu vermisse ist.
In unserer Branche ist es mittlerweile äußerst schwierig geworden, jedes Projekt zu den kalkulierten Vollkosten zu gewinnen. Allerdings ist das in der Kalkulation angesetzte Kostengerüst extrem von der abgesetzten Menge in einer Periode (Geschäftsjahr) abhängig. Man kann unterjährig insofern kaum genau sagen, was die „Vollkosten“ sind noch kann man unterjährig beurteilen, ob man bei einem Projekt „draufzahlt“ oder nicht (eine althergebrachte und weit verbreitete falsche Denkweise in der oft eher handwerklich geprägten Branche). Was man jedoch definitiv beurteilen kann, sind die entsprechenden Deckungsbeiträge der Projekte, eine sehr wichtige Betrachtungsweise. Will man nämlich sein Unternehmen anhand der individuellen Auslastung (und nicht anhand der errichteten Kapazitäten) steuern, so kommt der Teilkostenrechnung zunehmende Bedeutung bei. Um die Vorteilhaftigkeit beurteilen zu können macht es dann Sinn, die verschiedenen Deckungsbeitragsstufen zu betrachten.
Allerdings ist der Deckungsbeitrag nicht Umsatz minus Wareneinsatz, sondern trennt fixe von variablen Kosten und dies auf mehreren Wertschöpfungsstufen!
Um also „echte“ Deckungsbeiträge behandeln zu können, ist die Trennung von fixen und variablen Anteilen der Stundensätze erforderlich. Variable Kosten finden sich jedoch nur in Einzelkosten (Gemeinkosten sind stets fix), was die Deklination der Stundensätze eben bis auf die Ebene der Einzelkosten herunter – wie auch in dem zuvor dargestellten Kalkulationsschema – erfordert. Eine Tatsache, die bisher nur bei den wenigsten ERP-Systemanbietern durchgedrungen ist.
Externes Rechnungswesen
Das externe Rechnungswesen versorgt Adressaten außerhalb des Unternehmens mit den für sie wichtigen Informationen. Im Gegensatz zum internen Rechnungswesen ist es gesetzlich geregelt. Seine wesentlichen Bestandteile sind die Finanzbuchhaltung und der Jahresabschluss. [www.bwl-lexikon.de]
Im Kontext des externen Rechnungswesens fällt mir immer wieder auf, dass die Handhabung der Rechnungslegung nicht rechtsfonform gehandhabt wird. Wenn man mal die entsprechenden Rechnungskorrekturen außer Acht lässt, dann haben wir es hier mit folgenden Rechnungsarten zu tun:
Rechnung
Zu dieser Standardform der Rechnungslegung gibt es hier wenig zu sagen. Ist eine Leistung erbracht, wird diese entsprechend abgerechnet – der Kaufmann spricht auch von „verumsatzt“ und der Nettobetrag stellt in der Periode des Rechnungsdatums eben Umsatz dar. Die Werte im Vorratsvermögen (unfertige Erzeugnisse) werden damit einhergehend bestandsmindernd ausgebucht.
Anzahlungsrechnung
Anzahlungsrechnungen, auch manchmal als Abschlagsrechnung“ betitelt, begegnet man auch im Werkzeug- und Formenbau hin und wieder und es ist teilweise schon verwunderlich, wie falsch de facto damit umgegangen wird. Wir unterstellen hier mal, dass für die Betriebe keine Sonderregelungen gelten (zB. im Baunebengewerbe gelten hier gänzlich andere Vorschriften). Sodann stellen Anzahlungen keinen Umsatz dar, wirken sich lediglich auf die Liquidität und nicht auf das Ergebnis aus und werden als Verbindlichkeit verbucht. Mit dem Stellen der Schlussrechnungen wird der zu zahlende Betrag um die bereits erhaltenen Anzahlungen entsprechend gemindert.
Im Kontext der ERP-System sei nicht genauer darauf eingegangen aber an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Umsatzsteuerliche Behandlung u.U. anders gehandhabt wird als bei den anderen Rechnungsarten.
Teilrechnung
Teilrechnungen oder manchmal auch als Teilleistungsrechnungen bezeichnet, stellen die komplexeste Rechnungsart im Kontext des Werkzeug- und Formenbau dar. Vorweggenommen, eine Teilverrechnung ist im Grunde genommen nur für wirtschaftlich eigenständige Gewerke möglich. Eine prozentuale Definition dürfte handelsrechtlich insofern eher mal in Frage zu stellen sein. Diesen Sachverhalt möchte ich hier nicht weiter behandeln.
Die Problematik der Teilrechnung steckt in ihrer Umsatzwirksamkeit. Der Nettonennbetrag der Rechnung stellt also Umsatz dar und wirkt sich erfolgswirksam auf das Ergebnis aus. Mit dem Umsatz gilt es jedoch den anteiligen Herstellkostenanteil des Rechnungsbetrags aus dem Vorratsvermögen (unfertige Leistungen) bestandsmindernd auszubuchen.
Schlussrechnung
Die Schlussrechnung entspricht im Wesentlichen der einfachen Rechnung, berücksichtigt lediglich die bereits vorausgegangenen Anzahlungs- oder Teilrechnungen. Bereits erhaltene Anzahlungen werden lediglich dem noch zu bezahlenden Restbetrag angetragen und haben lediglich Auswirkung auf die Liquidität. Der umsatzwirksame Betrag entspricht dem Nennbetrag der Schlussrechnung.
Im Falle vorausgegangener Teilrechnungen wird auch der umsatzwirksame Nennbetrag entsprechend um die Beträge der Teilrechnungen gemindert. Umsatz- und Liquiditätswirksam ist dann nur noch der offene Restbetrag.
Zur Vertiefung empfehle ich die Ausführungen zu dem Thema Faktura in „VDWF im Dialog“ 3/2020.
Es ist teilweise schon verwunderlich, dass Systeme am Markt von Leuten angeboten werden, denen die Unterschiede dieser Rechnungsarten gar nicht geläufig sind.
Bewertung UFE
Über die Warenwirtschaft und die BDE/MDE Funktionen der ERP-Systeme werden Leistungen zu den einzelnen Kostenträgern erfasst. Diese erhöhen den Bestand unfertiger Erzeugnisse im Umlaufvermögen und führen zu einer erfolgswirksamen Bestandserhöhung. Dieser Sachverhalt ist von essenzieller Bedeutung für alle Auftragsfertiger insbesondere dann, wenn die Aufträge über mehrere Perioden (Monate, Jahre) hinweg in Bearbeitung sind.
Für die Bewertung des Umlaufvermögens gilt streng das Niederstwertprinzip des HGB. Daraus folgt zum einen, dass die Bewertung verlustfrei zu erfolgen hat. Unterjährig führt dies zu dem Sachverhalt, dass die zur Bewertung heran gezogenen Herstellkosten zumindest auf die Herstellkosten des Auftrags teilabgeschrieben werden müssen (der Wert im Vorratsvermögen kann nicht höher sein, als was der Kunde für das Projekt bezahlt). Ein Sachverhalt, der leider nicht in jedem ERP-System korrekt gehandhabt wird.
Wir hatten uns zuvor mit der Kalkulation im internen Rechnungswesen befasst. Dort stehen Stunden- und Zuschlagssätze im Raum, welche signifikante kalkulatorische Größen berücksichtigen. Beispiel: in den Maschinenstundensätzen wird eine kalkulatorische AfA berücksichtigt, auch wenn die Anlage buchhalterisch bereits vollends abgeschrieben wurde. Oder, die Energiekosten basieren auf den ggf. höheren Strompreisen der Zukunft.
Im Bereich des externen Rechnungswesens erfolgen sämtliche Betrachtungen „beleghaft“. Der Fachbegriff hierfür ist „pagatorisch“. Hier dürfen keine kalkulatorischen Werte angesetzt werden, es gilt sämtliche Werte streng gemäß den tatsächlichen Kosten anzusetzen. Daraus ergibt sich zwingend die Anforderung, zwei unterschiedliche Stunden- bzw. Zuschlagssätze für alle wertschöpfenden Ressourcen vorzuhalten. Ja, liebe ERP-Systemanbieter, ihr habt richtig gehört, wir benötigen zwingend zwei Stundensätze, einen kalkulatorischen und einen pagatorischen! Leider gibt es kaum ein System, das diese Trennung berücksichtigt und korrekt umsetzt.
Man muss zur Kenntnis nehmen, dass wir hier in zwei Welten, dem internen und dem externen Rechnungswesen, unterwegs sind. Diese Tatsache erfordert gewisse systemische Mechanismen, die leider häufig vermisst werden.
Mir wäre es ein persönliches Anliegen, dass die kaufmännischen Themen und Defizite der ERP-Systeme auf den Tisch kämen und man in einen gemeinsamen, konstruktiven Dialog einsteigt.
Es besteht Handlungsbedarf!
Die Branche befindet sich in einem massiven Umbruch und es geht für viele Unternehmen um deren Fortbestand. Es wird zukünftig von größter Bedeutung sein, Transparenz auch in den betriebswirtschaftlichen Zahlen zu haben. Eine passende ERP-Lösung erscheint mir dafür unabdingbar und mit Hinblick auf die Digitalisierung sehe ich die Systemanbieter als einen wesentlichen Faktor für die Zukunftsfähigkeit der Branche in diesem Land.
Die Unternehmer verlassen sich auf das, was die Systeme liefern, sind häufig selbst nicht in der Lage, zu erkennen ob die Ergebnisse richtig sind oder nicht. Man darf dann aber auch erwarten, dass solch eine Software rechenrichtig arbeitet und die Systematik gesetzeskonform erfolgt.
Es kann auf Dauer nicht sein, dass man in ein ERP-System investiert und dann unternehmenskritische, betriebswirtschaftliche Berechnungen außerhalb des Systems mit Tabellenkalkulationssoftware abbilden muss, um Rechenrichtigkeit zu erlangen!
Man kann nicht garantieren, dass alles besser wird, wenn es anders wird. Aber, damit es besser werden kann, muss es anders werden.
Mich interessieren hierzu eure Meinungen, Erfahrungen und ich kann auch mit „anderen“ Meinungen umgehen. Alles, was jetzt zu einem konstruktiven Dialog führt ist willkommen!